Eine Diskussionsanregung zu mehr ProfessionalitätDoodle ist ein nettes einfaches Werkzeug, wenn man versteht es zu benutzen. Es braucht nicht viel Fantasie, sich vorzustellen, dass der Versuch demokratischer Meinungsbildung mit doodle schnell im Chaos enden würde.
Demokratie ist nicht einfach. Sie setzt offene Diskussion, den Willen zum Konsens und mühevolles ringen um Kompromisse voraus und wendet erst, als quasi letztes Mittel, offene oder geheime Wahlen an. Es muss vermieden werden, dass die Interessen von Minderheiten übergangen werden und Extremisten überhand gewinnen. Doodle kann das nicht: Demokratie ist eben nicht einfach.
Nun ist die Piratenpartei angetreten um wichtige
Grundvoraussetzungen der demokratischen Meinungsbildung zu verteidigen, schlicht und einfach,
weil keine andere Partei dies mit der notwendigen Aufmerksamkeit tut:
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Privatsphäre (z.B. Datenschutz, Schutz vor Überwachung)
und
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freien Zugang zu öffentlichen Informationen (dazu gehört auch liberalisierung des Urheberrechts, Netzneutralität, aber auch Transparenz staatlicher Einrichtungen, etc. pp.)
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Rechtsstaatlichkeit (z.B. pro Unschuldsvermutung und gegen Präventivstrafrecht)
Damit haben wir bereits ein großes Aufgabengebiet.
Unsere Privatsphäre ist durch die digitale Revolution massiv und akut gefährdet. Beim Zugang zu öffentlichen Informationen droht uns derweil die Riesen-Chance des Internets durch Zensur- und Sperrgesetze vertan zu werden. Diese Erkenntnisse sind weder neu, noch stammen sie aus der Piratenpartei. Nach den Terroranschlägen vom 11.9.2001 gab und gibt es eine massive Verschlechterung in diesen Bereichen.
Wir erleben, wie auch in anderen Ländern diese Voraussetzungen für Demokratie bedroht und Schritt für Schritt abgebaut werden: Sei es in GB mit überbordender Videoüberwachung, sei es Italien mit der verquickung aus Politik und Medien, sei es Frankreich mit HADOPI oder die Türkei mit einem gesperrten youtube. Wir brauchen nicht einmal nach China oder in den Iran zu schauen um uns der Gefahr bewusst zu werden!
Natürlich gibt es ganz ernstgemeinte Bestrebungen den Meinungsaustausch im Internet zu manipulieren, eine umfassende Zensur aufzubauen! Eine ganze Reihe von Projekten, Gesetzesvorhaben und Verträgen drohen uns. Hier und heute! Es ist unsere Bürgerpflicht hier tätig zu werden, bevor es zu spät ist!
Es ist Zeit geworden dies
mit dem Vehikel "Partei" auch auf die politische Bühne zu tragen.
Bis hierher, so hoffe ich doch sehr, stimmen mir alle Piraten überein. Bis hierhin gibt es in der Piratendatei sozusagen eine "
Doodledemokratiefähigkeit", einen Konsens den man voraussetzen kann. Dies eint uns.
Waren die Piraten anfangs doch ein eher homogenes Gebilde, größtenteils im Umkreis des CCC entstanden, so ist durch den Hype 2009 die anfänglich Gruppierung um einiges bunter geworden.
Die anfängliche Gruppierung wäre wahrscheinlich viel eher in der Lage gewesen, ein Vollprogramm zu entwickeln. Dennoch hat sie es bewußt nicht getan. Zu wichtig waren und sind die Kernthemen, als das man es sich erlauben wollte, zudem sah man sich auch nicht breit genug aufgestellt.
Sicher hat das Konzept "
Mitmachpartei" im Wahlkampf 2009 implizit die Erwartung ausgelöst, beliebige politische Inhalte einbringen zu können und dafür auch Aufmerksamkeit zu bekommen. Das war ein Fehler.
Viele sind nun enttäuscht. Konservative, anarchistische, sozialistische, sozialdemokratische, liberale und libertäre Einstellungen lassen eben nur eine kleine Schnittmenge zu. Dies mit dem Band des
Verfassungspatriotismus ("die Grundgesetzpartei")
zu umschliessen ist bereits eine gute Erkenntnis und kann uns - bei konsequenter Anwendung - weit tragen.
Wir dürfen nicht übersehen, dass wir also ein
sehr heterogener Haufen aus Querdenkern, Hobbypolitikern, Nerds, Hackern, Künstlern, klassischen Alternativen, Gamern, Profipolitikern, Metzgern, Vegetarier, Sozialpädagogen usw... sind, die auch aus durchaus unterschiedlichen Gründen für Ihre Freiheit kämpfen.
Konkreter: Vor Kürze gab es bei der Abstimmung über das Stammtischlokal der Münchner einen
Doodlekrieg, einen Flamewar auf der Maillingsliste mit allen üblichen Verleumdungen und Beschimpfungen. Ist es nicht naiv anzunehmen, wir könnten Konsens oder zumindest Kompromiss über z.B. Wirtschaftsfragen, Fragen aus Klimapolitik oder eine Stellungnahme zum Thema Gesamtschulen hinbekommen?
Während wir gleichzeitig unsere Parteistruktur erst aufbauen?
Laufen wir hier nicht
Gefahr, uns völlig zu verzetteln und im Doodlekrieg unterzugehen? Das sich Radikale oder "Spinner" bestimmter Themen bemächtigen?
Wenn wir die Partei in die Beliebigkeit überführen wollen,
wenn wir unser Alleinstellungsmerkmal verlieren wollen, so ist eine "Doodledemokratie", in welcher (ohne Rücksicht auf Konsens & Kompromiss) Mehrheitsbeschlüsse zu allen möglichen Themen gefasst werden, der beste Weg dazu!
Wenn wir die
Heterogenität der Piratenpartei als etwas wünschenswertes erhalten wollen, so bleibt uns also nichts anderes übrig, als uns im wesentlichen auf die oben genannten Kernthemen zu beschränken. Schon dies ist ein umfassendes Feld, das unserer vollen Aufmerksamkeit bedarf.
Des weiteren sollten wir auch nicht beim
Konzept "Partei" das Rad neu erfinden. Bewusst wurde das Vehikel "Partei" gewählt,
diese Suppe müssen wir jetzt auch auslöffeln! So sehr uns die etablierten Parteien auch ärgern: Uns als Piraten ist es durchaus erlaubt, von Grünen, FDP oder SPD zu lernen und dort als funktionierend erkannte Strukturen zu übernehmen. Auch sie bestehen aus Menschen und hatten sicher ähnliche Startschwierigkeiten wie wir. Wir haben die Form "Partei" für die Piraten gewählt und sind eben kein Kaninchenzüchterverein! Wir haben doch Profis in unseren Reihen (Tauss, Beer, Rusche), warum sollten wir sie nicht konsultieren und
etwas mehr Professionalität wagen?Aktueller Anlass für diese Streitschrift ist meine ganz
konkrete Befürchtung unsere Kampagnenfähigkeit zu verlieren. Ich sehe, wieviel Aufmerksamkeit ein Aaron, der ganz offensichtlich die gemeinsame Linie des Verfassungspatriotimus verlassen hat (Basisdemokratisches Verständnis auf doodle-Niveau, Islamophobie,"Angriffskrieg") verschlingt, mit welche Leidenschaft und Emotion über banale Parteiinternas gestritten wird! Und wie wenig Aufmerksamkeit unsere konkreten Themen wie
JMStV,
ACTA,
ELENA-Verfahren,
Vorratsdatenspeicherung erhalten. So bekommen meine Befürchtungen Nahrung.
Mit dem einigenden Band des Verfassungspatriotismus ist es übrigens durchaus möglich, Leute wie Aaron zu isolieren (warum dies der Bundesvorstand nicht tut ist mir völlig rätselhaft) bzw. von vorneherein abzuschrecken.
Ich wünsche mir:* Eine klare
Distanzierung vom mittelfristigen Ziel eines "Vollprogramms".
* Eine schlanke Hierarchie mit
handlungs- und entscheidungsfähigen Vorständen.
* Insgesamt
mehr Professionalität wagen. Professionalität bedeutet auch, sich mit den Themen "festangestellte Mitarbeiter (vgl. #forum fail)" und Berufspolitikern zu befassen.